Wie geht es nun mir, nach meinem Austritt aus Kloster und Kirche, mit den Sakramenten? Geht es ohne? Vermisse ich sie? Tritt etwas anderes an ihre Stelle? Welche Rolle spielen sie bei meiner Verortung im Schwarm des Volkes Gottes?
Auf jeden Fall werde ich die Frage nach den Sakramenten nicht ohne Weiteres los - und ich will es auch gar nicht. In diesem Text möchte ich mir - nach meinem Austritt aus der Institution der römisch-katholischen Kirche - über meinen aktuellen Standort hinsichtlich der Sakramente klar werden.
Als Folge meines Austritts aus Kloster und Orden hat sich für mich die innere Notwendigkeit ergeben, sogleich den nächsten Schritt zu tun und auch aus der Institution der römisch-katholischen Kirche auszutreten. Mich bestimmt dabei nicht nur diese oder jene konkrete kirchenamtliche Verhaltensweise oder Maßnahme, mit der ich es im Blick auf den Ordensaustritt zu tun bekam, sondern grundsätzlich die aktuelle Struktur ihrer Rechtsordnung und Leitung, der ich darin begegne: Ich kann darin die Botschaft Jesu und seinen Ruf zu einem Leben in persönlicher Selbstverantwortung und Wahrheit nicht wieder erkennen.
Die Frage ist, wohin mich dieser Schritt führt. Die Ebene der persönlichen, spirituellen Erfahrung und die der theologischen Reflexion und Verifikation lassen sich hier nicht trennen. Darüber, wie die Sakramente nach meinem offiziellen Kirchenaustritt und ohne praktische Beteiligung am Leben der Gemeinde weiterhin mein Leben prägen, lässt sich zunächst nur auf der Ebene der persönlichen Erfahrung sprechen. Es ergeben sich von hier aus aber wohl doch auch Aussagen von allgemeinerem Interesse.
Auf Abstand zur Kirche
Gegenwärtig schließt für mich die Beendigung der institutionellen Mitgliedschaft auch das Ende dessen mit ein, was ich im ersten Teil dieses Artikels
als aktive Mitgliedschaft am Leben der Kirche beschrieben habe. Ich verstehe mich auf geistlicher Ebene unverändert als getauften Christen und sehe mich als solchen nicht nur bevollmächtigt, sondern auch beauftragt, berufen und frei, das Einssein in Christus mit allen Getauften im sichtbaren, gemeindlichen Vollzug der Eucharistie zu feiern.
Das heisst jedoch nicht, dass ich dies in der Weise aktiver, regelmäßiger Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistie der Gemeinde tue. Ich möchte, dass auch in dieser Hinsicht keine Doppelbödigkeit entsteht, indem ich durch mein praktisches Verhalten auf informeller Ebene mittrage, was ich auf der rechtlich-formellen Ebene verneine.
Auf der anderen Seite erfahre ich, dass auch ein Fernbleiben vom Gemeindegottesdienst oder vom Stundengebet einer Mönchsgemeinschaft über mehrere Monate mir nicht das Empfinden gibt, dass sich die tiefreichende Prägung meines Lebens durch Liturgie und Sakramente in Dunst auflöst. Ich entdecke vielmehr: Was ich im Artikel Die Sakramente vor und nach dem Konzil als die res sacramenti beschrieben habe, bleibt im spirituellen Raum der Seele auch ohne die Stütze der äußeren Feier und Form unvermindert prägend und erfahrbar.
Mich interessiert: aus welchen Quellen schöpfe ich da? Wie stehe ich mit ihnen in Kontakt? Geht es anderen, die äußerlich einen ähnlichen Weg gehen, die sich wie ich aus einer aktiven, engagierten Beteiligung am kommunitären oder gemeindlichen Leben zurückgezogen haben, auch auf der spirituellen Ebene ähnlich?
So möchte ich meine jetzige Praxis in dieser Frage nicht von vorgefassten Regeln und Verpflichtungen leiten lassen, die letztlich nur von der Angst vor einer solchen Verdunstung diktiert wären, sondern allein an dem ausrichten, was ich für mich in einem positiven Sinne als innerlich „stimmig“ erkenne.
Auf der Suche nach einem neuen Paradigma
Natürlich ergibt sich aus dem aktuellen Auflösungsprozess der Gemeinden ein umso dringlicherer Appell an die noch verbliebenen aktiven Mitglieder, dass wenigstens sie sich von dem allgemeinen Trend nicht auch noch erfassen lassen. Gerade das habe ich - dem äußeren Anschein nach - jedoch getan!
Allerdings nicht, so beanspruche ich, um mich unkritisch einem allgemeinen Trend zur Auflösung anzuschließen, sondern weil ich zu spüren meine, dass sich in dieser Entwicklung für das Verhältnis der Glaubenden zur sakramentalen Struktur der Kirche eine Art paradigmatischer Umkehrung vollzieht bzw. sich ein grundlegend neues, kreatives und zukunftweisendes Paradigma einstellt. Diese Entwicklung möchte ich durch meinen Weg und mein Engagement mittragen.
Bewusst löse ich mich also von jenem Appell, im gegenwärtigen Auflösungstrend umso entschiedener den aktiven Kern der noch verbliebenen Mitglieder mitzutragen und gemeinsam mit ihnen zu retten, was noch zu retten ist. Ich möchte erkunden und verstehen lernen, was mir - vielleicht mit vielen anderen, die sich auf einen ähnlichen Weg geführt sehen - unabhängig von einer aktiven Beteiligung am liturgisch-sakramentalen Leben der Ortsgemeinde und in äußerer Distanz dazu an innerem Verhältnis zur sakramentalen Struktur der Kirche bleibt.
Es scheint mir wichtig, die aktuelle Entwicklung nicht nur unter dem negativen Aspekt eines Auflösungsprozesses zu betrachten. Mit der Sicht der Kirche, des Volkes Gottes, als Schwarm will ich den Blick öffnen für das chaotisch-schöpferische Wirken des Geistes, das sich in dieser Entwicklung manifestiert. Meiner persönlichen Mitverantwortung für den Weg der Kirche möchte ich entsprechen, indem ich mir an dieser Stelle Rechenschaft gebe über meinen Weg, über die Weise, wie ich ihn geistlich erfahre, gestalte und vor meinem Gewissen legitimiere.
Für meinen Ausgangspunkt in dieser Frage heißt das, dass ich mich zunächst auf die geistliche Ebene der von den Sakramenten gestalteten Kirchenmitgliedschaft fokussiere. Mir scheint, dass dies die Ebene ist, auf der das Volk Gottes sich in der gegenwärtigen Etappe seines Pilgerweges neu einfinden, auf der es gewissermassen neu zu gehen lernen muss. Dass es lernen muss, sich von dieser Ebene aus - unter der Führung und dem Drängen des Heiligen Geistes, und das heißt: der chaotischen Dynamik eines Schwarms gemäß - neu zu sammeln und zu formieren, damit sich ihr das kreative Potential erschließt, das sich in ihrem gegenwärtigen, so unsteuerbaren und unaufhaltsamen Auflösungsprozess im Grunde verbirgt und manifestiert.
Natürlich hat die Symbolik der Sakramente eine Seite, die sich - von aller subjektiven Erfahrung abstrahierend - in theologischer Begrifflichkeit definieren und reflektieren lässt. Sonst wüsste man ja nicht, wovon man redet. Aber wenn ich das, wovon diese theologischen Sätze reden, nicht mehr in ihrer gemeindlichen und institutionellen Konkretisierung suche, wo ist es dann zu finden? Was bleibt mir da außer der Leere des theologischen Diskurses?
Wolke des Nicht-Wissens
Ich begebe mich in die Wolke des Nicht-Wissens; bar jeglicher theologischer Orientierung und Konzepte erwarte ich nichts und beginne wahrzunehmen, was ist. Diese spirituelle Erfahrung bietet mir von sich aus Antworten auf die Frage, was mir jenseits des theologischen Diskurses bleibt - oder von sich aus neu erschließt.
Um in diesem Bereich spiritueller Erfahrung zur Klarheit zu finden, bedarf es der geistlichen Unterscheidung für das, was sich in der Tiefe der Seele bewegt, nicht logischer Analyse und Argumentation. Ignatius von Loyola hat in seinem Exerzitien-Büchlein Kriterien für die hier anstehende Klärung und Unterscheidung entwickelt. Es geht um ein kontemplatives, nicht um ein empirisch-rationales Erkennen. Es findet statt in der Tiefe der von Johannes vom Kreuz beschriebenen Nacht der Sinne und des Geistes. Es setzt voraus, was Meister Ekkehard das Sterben Gottes in der Seele nennt.
Antworten auf diese Frage verweisen mich in den Bereich diffuser spiritueller Erfahrung. Das Entscheidende ist, dass es hier nicht nur um die Wahrnehmung rein subjektiven Fühlens und Empfinden geht, sondern um ein in diesem Bereich sich vermittelndes Erkennen, das durchaus von einer alles Fühlen, Empfinden und Denken transzendierenden Tiefe und Klarheit, von einer sich immer mehr konsolidierenden Gewissheit sein kann.
Nur über das Medium solch geistlichen Erkennens kann sich auch das rechtlich-institutionelle sowie das gemeindlich-pastorale Verhalten der Kirche vom Wirken des Heiligen Geistes leiten lassen.
Im Aufsatz „Zulassung nicht-katholischer Christen zur Eucharistie…“ habe ich gezeigt, wie die geistliche Unterscheidung und das Ernstnehmen solchen Erkennens sich auf das Verhalten der Kirche auswirken muss, will sie sich nicht dem berechtigten Vorwurf aussetzen, in dieser so sensiblen wie zentralen ökumenischen Frage in Widerspruch zum Wirken des Heiligen Geistes zu stehen.
Geistliches Erkennen
Geistliches Erkennen ist prozesshaft. Es beruht auf Wahrnehmung, nicht auf der Klärung einer logisch kohärenten Argumentation. Es beginnt in innerem Tasten und Spüren, einem Ahnen und Suchen, dem noch keine Wege vorgebahnt sind, sucht sich wie ein Sickerprozess, von einem verborgenen Gefälle geleitet, durch vielerlei Adern seine Richtung, bis es in ersten Rinnsalen und später vielleicht einmal in mächtigen breiten Strömen zu Tage tritt. In meinen Gedanken hier will ich ersten Anzeichen einer solchen inneren Bewegung nachspüren.
Ich bin auf sie aufmerksam geworden, als ich mich im Zusammenhang meines Ausscheidens aus Rahmen und Praxis der römisch-katholischen Kirche fragte, ob für mich der Übertritt zu einer Kirche lutherischer Konfession nun nicht der naheliegende und konsequente Schritt sei. Mir wurde dabei klar: In irgendeinem Sinn empfinde und denke, bin und bleibe ich katholisch. Und das hieß vor allem: Ich bleibe auch nach meinem Austritt, auf geistlicher Ebene, nicht weniger von der Symbolik der sieben Sakramente geprägt wie in den Jahrzehnten zuvor; sie würde mir im Raum der Evangelischen Kirche fehlen. Offenbar gilt auch für mich: Semel Catholicus semper Catholicus.
Dieser bleibenden spirituellen Prägung möchte ich im Folgenden nachgehen. Ich beginne bei etablierten theologischen Aussagen über die Sakramente, versuche sodann, sie als einen geistlichen Ausdruck der ganzheitlichen Gestalt menschlichen Lebens zu deuten, um dann zu fragen, welchen Quellen in der Seele die Dynamik entspringt, die diese geistliche Gestalt (und keine andere) hervorbringt.
Wichtig ist mir dabei die innere Zuordnung der verschiedenen Ebenen. Es handelt sich in der geistlichen Gestalt, die ich in mir wahrnehme, nicht um einen verschwebenden Nachklang dessen, was durch mein Leben als engagiertes Glied der Kirche in mir zum Schwingen kam und nun nicht anderes kann, als noch ein wenig nachzuschwingen und sich allmählich zu verflüchtigen. Es geht eher um so etwas wie den Glutkern eines Atomreaktors, der in jenen langen Jahrzehnten in mir zum Glühen gebracht wurde und nun aus eigener Dynamik glüht, um - wer weiß? - von sich aus neue Ausdrucksformen geistlicher und kirchlicher Gemeinschaft entstehen zu lassen.
Es geht um das ungebrochene Fortwirken dessen, was durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte auch den erstarrten und repressiven Formen und Strukturen an ursprünglicher und unauslöschlicher Glut zugrunde lag.